Haiminger auf großer Reise

Die Auswanderung nach Peru – Pozuzo

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte teilweise große Not und Armut in Tirol. Seit dem 16. Jahrhundert hatte sich die Bevölkerung mehr als verdoppelt und die damals gängige Praxis der Realteilung (jeder Nachkomme erhielt einen Erbteil des elterlichen Hofes) führte zur immer weiteren Zerstückelung der Hofeinheiten. Letztlich reichte es oft nicht mehr, eine Familie damit zu ernähren. Um einen Esser weniger im Haus zu haben, schickten so manche kinderreichen Familien ihre Kinder von März bis November ins Schwabenland („Schwabenkinder“). Andere wollten der Not in der Heimat entfliehen und suchten ihr Glück in der „Neuen Welt“. Peru erlebte zu jener Zeit gerade eine wirtschaftliche Blütezeit und gleichzeitig einen Mangel an Arbeitskräften, weshalb das südamerikanische Land die Einwanderung von Ackerbauern unterstützte. Den Auswanderungswilligen wurde die freie Reise von Antwerpen bis zur Kolonie Pozuzo versprochen, zudem 100 Morgen kulturfähiges Land als Eigentum.

 

Das Leben in Haiming anno 1857

Wie die meisten Dörfer im Oberinntal war auch Haiming in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine vom bäuerlichen Alltag geprägte Gemeinde. Die rund 1270 Einwohner waren überwiegend Bauern, die auf Selbstversorgung angewiesen waren, Geld war Mangelware. Wetterkapriolen und Schlechtwetterphasen und damit verbundene Ernteausfälle konnten schnell zu Hungersnöten und hoher Sterblichkeit führen. Gemessen an heutigen Maßstäben war das Leben damals unvorstellbar hart und mit zahlreichen Entbehrungen verbunden.

Von Haiming nach Pozuzo: Eine beschwerliche Reise

Getrieben von der Not in der Heimat und dem Wunsch nach einem besseren Leben, machten sich 1857 rund 180 Tiroler und Tirolerinnen mit Pfarrer Josef Egg aus Wald im Pitztal auf den Weg, um in Peru eine neue Heimat zu finden. Unter den Auswanderern befanden sich auch Haiminger mit den Namen Witting, Randolf, Strigl, Raffl und Schöpf. Nach einem gemeinsamen Abschiedsgottesdienst in Silz am 16. März 1857 trafen sich die Auswanderer aus Silz, Haiming und anderen Orten des Oberlandes mit weiteren Auswanderungswilligen aus dem Vinschgau, dem Unterinntal, dem Wipptal und Osttirol. Ihre Reise führte sie zunächst quer durch Deutschland und weiter in die belgische Hafenstadt Antwerpen. Dort bestiegen sie am 30. März 1857 gemeinsam mit 120 weiteren Auswanderern das Segelschiff „Norton“, das sie in 123 unglaublich beschwerlichen Tagen um die Südspitze Südamerikas herum zur peruanischen Hafenstadt Callao brachte. Den Panamakanal (eröffnet 1914), der die Reise wesentlich verkürzt hätte, gab es zu dieser Zeit noch nicht. Die ebenfalls kürzere Magellanstraße war für Segelschiffe nicht geeignet. Zwei Erwachsene und vier Kinder überlebten die Strapazen der Schiffsreise nicht, darunter auch der erst drei Monate alte Sohn Josef der Haiminger Auswanderer Alois und Judith Witting.

 

Mit der Ankunft in Peru waren die Strapazen jedoch noch lange nicht beendet. Denn die versprochene Straße in das Siedlungsgebiet Pozuzo gab es noch gar nicht. Unter härtesten Bedingungen mussten sich die Auswanderer diesen Weg selbst erbauen, durch tropischen Urwald und über 4000 m hohe Andenpässe. Immer wieder verließen Menschen die Auswanderergruppe, um anderswo Arbeit zu finden. Die Verbliebenen – rund 165 Menschen – erreichten erst mehr als 2 Jahre nach ihrer Abreise aus Tirol – am 25. Juli 1859 – das endgültige Siedlungsgebiet, die „Colonia de Rio Huancabamba“, wie Pozuzo zunächst hieß. Mitten im Urwald gelegen, mussten die Bauern zunächst den Wald roden, Häuser errichten und ihrem Pfarrer Josef Egg eine kleine Kirche mit einem Pfarrhaus bauen. Auch wenn die Ernten gut und der Boden fruchtbar waren, hatten die Siedler mit der Abgeschiedenheit und Isoliertheit ihres Siedlungsgebietes zu kämpfen. Für die Kolonisten war es kaum möglich, ihre Waren außerhalb ihres Ortes zu verkaufen oder überhaupt Kontakt zur Außenwelt zu halten. Allmählich gerieten sie so in ihrer Tiroler Heimat in Vergessenheit. Trotz aller Schwierigkeiten überlebte die Kolonie und begann zu gedeihen. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das „vergessene Dorf“ wiederentdeckt. Völlig „vergessen“ war Pozuzo schon vorher nicht, da der Pfarrer Josef Egg rege Korrespondenz mit Pater Augustin Scherer in Tirol pflegte. Erst 1976 wurde die versprochene Straße letztendlich fertiggestellt. 1980 wurden Pozuzo und Silz Partnergemeinden, 1997 schloss sich auch die Gemeinde Haiming an. Durch den Verein „Freundeskreis für Pozuzo“ (1983 gegründet) gibt es einen regen Austausch mit den Nachfahren der Tiroler Auswanderer.

Die Auswanderer aus Haiming

Folgende Haimingerinnen und Haiminger machten sich 1857 auf den Weg nach Peru, um ihr Glück in der neuen Welt zu suchen.

 

Johann Kopp, geboren am 03.01.1835 als Sohn des Alois Kopp und der Kreszenz Grüner im Dorfe. Das Gebäude existiert heute noch und ist als „Binder’s Haus“ bekannt (Familie Helmut Strigl).

 

Alois Raffl, geboren am 21.01.1833, Sohn des Benedikt Raffl, Bauer und Maurer in der Steigge und der Magdalena Scherer. Er stirbt 1878 in Pozuzo.

 

Maria-Helene Raffl, geboren am 13.01.1834, Tochter des Martin Raffl und der Juliana Kopp in der Steigge, Hausnummer 79, damals Wohnhaus des Schmiedemeisters Georg Rattacher, später der Familie Schilcher bzw. Ruef. Das Haus existiert heute nicht mehr. Über das weitere Schicksal von Maria-Helene Raffl ist nichts bekannt. Sie wanderte mit Klemens Strigl geb. 15.03.1822 in Oetz-Habichen als Sohn des Fidel Strigl und der Maria Haslwandter aus, den sie auf dem Auswandererschiff „Norton“ auf der Überfahrt heiratete. Der Maurer und Steinmetz Klemens Strigl starb bereits 1858 in Huánuco, einer Stadt in den peruanischen Anden.

 

Augustin Randolf, geboren am 30.01.1811 als Sohn von Alois Randolf und Rosina Schöpf. Er heiratete am 10.02.1844 Maria Waldhart geb. 04.04.1821, und lebte mit seiner Familie bis zur Auswanderung im Dorf, Haus-Nummer 53, Haus „Oberhofers“, heute Familie Astrid und Werner Mayr. Augustin wanderte mit Gattin und den acht Kindern Johann-Josef, Alois, Kreszenzia, Josef, Theodor, Otto, Hugo und Karoline aus. Augustin stirbt 1880 in Pozuzo, seine Gattin Maria 1886.

 

Alois Schöpf, geboren am 15.09.1819, Sohn des Branntweinbrauers Vinzenz Schöpf und der Anna Katharina Mathoy, aufgewachsen im Haus-Nummer 71, Haus „Buabeler“, heute Familie Gerda und Peter Haslwanter. Er stirbt 1873 in Pozuzo.

 

Peter-Paul Schöpf, geboren am 03.04.1817 als Sohn des Eustach Schöpf und der Katharina Fritz, Bauersleute auf dem Gut Hausnummer 5 in der Au, wandert mit seiner Gattin Theresia geb. Strigl, geb. 16.08.1826 als Tochter des Fidel Strigl und der Maria Anna Haselwanter und den beiden Kindern Josef (geb. 30.08.1852) und Maria-Anna (geb. 15.06.1854) aus; geheiratet haben die beiden am 24.11.1851. Peter-Paul stirbt 1882, seine Gattin Theresia stirbt 1907. Tochter Maria-Anna stirbt als eine der letzten Ur-Kolonisten im Jahre 1929. Gelebt haben die Schöpfs vor ihrer Auswanderung im Haus-Nr. 98, später im Eigentum der Familie Stigger „Rudolfen“, heute Wohnhaus von Marijan Milic.

 

Rosa Waldhart, geboren 28.05.1832 in Haiming, Tochter des Engelbert Waldhart und der Elisabeth Schöpf, die im Haus Nr. 59 „beim Stöffeler“ wohnten (heute Wohnhaus der Familien Monika und Florian Stigger „Zachers“). Rosa war eine Schwester von Maria Randolf geb. Waldhart. In Haiming stirbt am 30.01.1910 eine Rosa Raffl geb. Waldhart im hohen Alter von 88 Jahren – ihre Lebensdaten stimmen mit der Rosa Waldhart auf der Auswandererliste exakt überein. Sie hat am 16.06.1859 den Josef Raffl, Hausnummer 55 (später im Eigentum von Julia Stigger „Schneiders Julie“, heute Familie Jung), geheiratet. Das kann bedeuten, dass Rosa die Reise von Lima nach Pozuzo gar nicht angetreten hat, sondern wieder nach Haiming zurückgekehrt ist.

 

Alois Witting, geboren am 19.08.1807 in Höpperg Nr. 5, Sohn des Lorenz Witting und der Kunigunde Fuchs vom Silzerberg. Er heiratet am 07.01.1851 die Judith Schöpf geb. 27.07.1815, Tochter des Eustach Schöpf und der Katharina Fritz. Diese Judith ist also eine Schwester des ebenfalls ausgewanderten Peter-Paul Schöpf. Alois und Judith wandern mit ihren Kindern Nikolaus, Karoline, Anton, Josef und Johanna aus. Alois Witting stirbt am 06.07.1859 in Pozuzo, Karoline Witting stirbt 1908 bei der Gelbfieberepidemie, Anton stirbt 1872, Johanna stirbt 1936, Nikolaus 1920, Josef stirbt im Alter von drei Monaten am 18.04.1857 auf der „Norton“.

 

Peter-Paul Witting, geboren am 09.01.1811 in Höpperg Nr. 5, er war ein Bruder des Alois Witting. Er dürfte in Pozuzo nie angekommen sein, denn er scheint in den dortigen Sterbeverzeichnissen nicht auf.

 

Kornelius Zoller, geb. 1830, wird zwar in der Publikation von Elisabeth Habicher Schwarz (Pozuzo – Tiroler, Rheinländer und Bayern im Urwald Perus, Verlag Berenkamp, 2001) in der Haiminger Auswandererliste angeführt – seine Lebensdaten lassen sich aber weder in den Haiminger noch Silzer Matriken finden.