Die Nachkriegsjahre von 1945 bis 1960

Die Lage in Haiming

 

Am 6. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg in Nordtirol, doch der Überlebenskampf ging für viele Tirolerinnen und Tiroler noch weiter. Die wirtschaftliche und soziale Situation in Tirol war prekär: Hunger, Wohnungsnot, Energieengpass, Flüchtlingsnot, tausende Kriegstote und zahllose Kriegesgefangene prägen diese schwere Zeit. Der „Frauenüberschuss“ zeigte sich bei den ersten Nationalratswahlen nach dem Krieg besonders deutlich: Am 25. November 1945 waren zwei Drittel aller Wahlberechtigten Frauen. Erst 1948 liefen die Hilfsmaßnahmen des „Marshallplans“ (offizielle Bezeichnung: European Recovery Program – ERP) an und setzten wichtige Impulse für den Aufschwung Tirols. Das „kleine Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre brachte einen regelrechten Bauboom, auch im Bereich Fremdenverkehr gab es ab 1950 einen Aufschwung in ungeahntem Ausmaß.

 

Leben und Arbeit nach 1945

 

Landwirtschaft, Grundzusammenlegung, Bewässerungsanlage

In den ersten Nachkriegsjahren bestimmte das Thema Lebensmittel den Alltag, auch wenn Haiming mit seiner bäuerlichen Struktur hier besser dastand als z. B. die städtische Bevölkerung in Innsbruck. Die heimischen Bauern konnten sich zumindest mit dem Notwendigsten selbst versorgen.

 

Für die Landwirtschaft wurde in dieser Zeit ein wichtiges Thema, die Wasserversorgung, angegangen. Von 1947 bis 1952 wurde die Bewässerungsanlage Brunau durch die Gemeinden Haiming und Silz gebaut. Fünf Jahre bauten rund 60 Arbeiter und Arbeiterinnen an der neuen Anlage. Voraussetzung für den Bau war eine umfassende Grundzusammenlegung. Vom Land war diese Neuparzellierung als Bedingung für eine Finanzierung bzw. Subventionierung gestellt worden. Das Verfahren wurde in Haiming 1948 eingeleitet, wobei in unserer Gemeinde 320 Hektar neu aufgeteilt wurden. Davon waren 138 Grundbesitzer mit 2.300 Parzellen betroffen. Nach der Grundzusammenlegung gab es nur mehr 710 Grundstücke mit einer durchschnittlichen Größe von 6.000 m2. Ziel der Grundzusammenlegung war, die moderne Landwirtschaft zu unterstützen bzw. die maschinelle Bearbeitung der Felder und Äcker zu ermöglichen. Zusätzlich wurden 20 km neue Feldwege angelegt.

 

In Haiming sank – wie überall im Land – der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Personen. 1934 waren es noch rund 60 %, 1961 nur mehr die Hälfte, rund 30 %.

 

 

Wirtschaft, Wohnbau und Gewerbe

 

Nach dem Krieg musste vieles wiederaufgebaut werden, allerdings waren die benötigten Baumaterialien anfangs äußerst knapp und nicht alles konnte schnell realisiert werden. In Haiming gab es kaum Kriegsschäden an Gebäuden, die rege Bautätigkeit in unserer Gemeinde hatte andere Ursachen: Haiming wuchs wie kaum ein anderer Ort. Gerade im Ortsteil Ötztal-Ort (heute Ötztal-Bahnhof) explodierten die Einwohnerzahlen förmlich: von gerade einmal 154 Bewohner/innen zu Beginn der 1950er Jahre auf 850 Einwohner/innen im Jahr 1963. Neue Betriebsansiedlungen im jungen Ortsteil lockten viele Menschen an, auch einige der volksdeutschen Flüchtlinge aus dem Lager Haiming ließen sich hier nieder.

 

Insgesamt wuchs die gesamte Gemeinde Haiming von 1.467 Einwohner/innen bei Kriegsbeginn (1939) um fast 1.000 Personen auf insgesamt 2.447 im Jahr 1961. All diese Menschen mussten natürlich irgendwo wohnen, entsprechend intensiv war daher in dieser Zeit die Wohnbautätigkeit in unserer Gemeinde: Von 1953 bis ca. Mitte der 1960er Jahre wurden mehr als 240 Wohnhäuser errichtet (120 in Haiming, mehr als 100 in Ötztal-Ort).

 

Auch sonst herrschte in unserer Gemeinde rege Bautätigkeit. 1951/52 errichtete die Gemeinde am Tränkeweg ein neues Volksschulgebäude und gab dafür 1,2 Mio. Schilling aus. Bereits 1954 wurde darin die neue Hauptschule untergebracht und die Gemeinde musste erneut ein Volksschulhaus bauen (1954/1955 am heutigen Standort im Winkling). Auch im Straßenbau war die Gemeinde aktiv: 1953 wurde ein Güterweg auf den Haimingerberg (damals noch Silzerberg) gebaut. 1954 wurde die Hängebrücke über den Inn nach Schlierenzau gebaut. Zumindest teilweise stammte das benötigte Baumaterial aus Haiming – der Kalkofen war 1946 von Anton Stigger, vulgo „Kalkbrenner“ wieder in Betrieb genommen worden.

Das Industrie- und Gewerbegebiet in Ötztal-Bahnhof (Ötztal-Ort)

 

Mit der Einstellung der Kraftwerksbauten gab es die Befürchtung, das Gebiet Haiming/Ötztal-Bahnhof könnte wieder in die „industrielle Bedeutungslosigkeit“ zurückfallen. Das Gegenteil war der Fall. Der vom Kraftwerksbau durch Rodungen geschädigte Forchet östlich vom Ortsteil Ötztal-Bahnhof wurde bereits in den 1950er Jahren als Gewerbe- und Industriegebiet genutzt. Die optimalen Standortbedingungen (gute Verkehrsanschlüsse, Arbeitskräfte, klimatische Bedingungen etc.) lockten rasch zahlreiche Unternehmen an, v. a. aus dem Baugewerbe sowie Frächter. Der Forchet wurde damals als „wenig nutzbares, ausgedehntes Waldgebiet“ eingestuft, womit auch ein großer Flächenbedarf eines Betriebs keinen Verlust an landwirtschaftlichem Boden bedeutete.

 

 

Betriebsansiedlungen und Gründungen in Haiming 1945 bis 1960*

 

1946

  • Bauunternehmen Auer (seit 1972 Maurer-Wallnöfer)

 

1946

  • Josef Egger pachtet die Bäckerei „Beim Tilliacher“ (Haus Nr. 134 in Haiming) von Matthias Tilliacher, heute Kirchstraße 22 (Bäckerei Rudigier).

 

1949

  • Edi Neuner gründet Installationsfirma (Heizung Sanitäre Neuner).

 

um 1950

  • Anton Mair eröffnet im heutigen Ötztal-Bahnhof, Ambergstraße 1, eine Metzgerei sowie einen Kartoffelhandel (an diesem Standort ist heute die Firma Elektro Matey). Anton Mair ist der Vater der heute erfolgreichen Unternehmensfamilien Kleider Mair, Speck Mair und Friseur Mair in Innsbruck.
  • Sägewerk Chrysanth Raffl wird in Haiming errichtet.
  • Raimund Winkler gründet sein Unternehmen (heute: Obst Winkler) in Ötztal-Bahnhof.

 

1951

  • Alois und Christine Strigl gründen in Haiming eine Maßschneiderei – später entsteht daraus die Firma Astri. Nach dem plötzlichen Tod seines Onkels Paul Witting kann Alois dessen Fertigung übernehmen; 1964 zieht die Firma Astri als einer der „ersten Aussiedler von Haiming“ nach Ötztal-Bahnhof.

 

1952

  • Gründung der Gärtnerei Georg Tichoff.
  • Franz Stigger „Jocheles“ erweitert die Tischlerei Stigger um eine Werkstätte in der Siedlungsstraße.

 

1953

  • Hans Schwarz gründet Friseur-Meisterbetrieb.

 

Mitte 1950er

  • Spar- und IFA-Markt siedeln sich in Haiming an.

 

1955

  • Alfred Wammes baut in der Kirchstraße das Kaufhaus Wammes für Lebensmittel und Konfektionskleidung – 1961 eröffnet er dazu auch in Ötztal-Bahnhof das Modezentrum Wammes.

 

1956

  • Gründung der Tischlerei Bernhard Kapeller.

 

 

Dörfliches Leben, Vereine, Kultur

 

Vieles, was das dörfliche Leben prägt, war im Zweiten Weltkrieg zum Stillstand gekommen, wurde aber nach dem Krieg mit neuem Elan und wahrscheinlich auch dem Wunsch nach einem Stück Normalität wiederaufgenommen. Ein Jahr nach Kriegsende fanden allmählich die Musikanten der Haiminger Musikkapelle wieder zusammen. Viele weitere Vereine, Einrichtungen und Institutionen wurden neu oder wieder gegründet und bereichern seither das dörfliche Leben.

Die wichtigsten Eckdaten der Jahre 1945 bis 1960*

 

1946

  • Lagerbewohner errichten den Fußballplatz in der Oberen Gmua.

 

1947

  • Gründung des SV Ötztal (Fußballmannschaft aus dem Lager Haiming, als „Weiße Elf“ bekannt); etwa zeitgleich gründen sportbegeisterte Haiminger den SV Haiming. Die beiden Vereine fusionieren 1956 zum SV Haiming-Ötztal.

 

1948

  • Gründung Feuerwehr Ochsengarten; 1956 erhält sie ein eigenes Gerätehaus.
  • Bau der „Bahnhofsreste“ beim Ötztaler Bahnhof; Inbetriebnahme 1950

 

1949

  • Gründung des Theatervereins „Heimatbühne Haiming“.
  • Die vier neuen Glocken der Pfarrkirche Haiming werden am 21. und 22. Mai feierlich eingeweiht.

 

1950

  • Das Lager Haiming geht in österreichische Verwaltung über.
  • Erstes Bezirksmusikfest am 3. und 4. Juni in Haiming; Veranstalter: Musikkapelle Haiming

 

1950 – 1956

  • Kinder aus Ötztal-Ort und Riedern besuchen die Lagerschule und ersparen sich dadurch den längeren Weg in die Volksschule Haiming.

 

1950er

  • Umfassende Grundzusammenlegung und Neuparzellierung in Haiming.

 

1954

  • Güterwegebau auf den Haimingerberg; 1958 sind die ersten sieben Höfe erschlossen.
  • Hauptschule Haiming nimmt ihren Unterrichtsbetrieb im Tränkeweg auf.
  • Bau der Hängebrücke nach Schlierenzau.

 

1955

  • Neugründung der Haiminger Schützen – dabei werden die ehemalige Schützengilde und die Schützenkompanie vereint.

 

1957

  • Die Straßen in Haiming erhalten ihre Namen.
  • Schützenkompanie Haimingerberg wird neu gegründet.
  • In Ötztal-Bahnhof wird die erste Löschgruppe als Teil der FF Haiming ins Leben gerufen.

 

1958

  • Die Glocken der Pfarrkirche Haimingerberg werden eingeweiht (sie wurden im 2. Weltkrieg zu Kriegszwecken/Munitionsproduktion konfisziert).
  • Ochsengarten erhält die erste Telefonverbindung nach Oetz.

 

1959

  • Der „Silzerberg“ wird in Haimingerberg umbenannt.
  • Einweihung des neuen Feuerwehrgerätehauses der Feuerwehr Haiming in der Siedlungsstraße.
  • Die Gemeinde Haiming führt ab 1. Jänner 1959 ein eigenes Standesamt; vorher wurden alle Standesfälle (Geburten, Eheschließungen, Sterbefälle) im Standesamt Silz eingetragen.

 

*Diese Aufstellungen stellen einen Überblick dar und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit

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