Das Ferienheim in Haiming

Das Kanzler-Doktor-Engelbert-Dollfuß-Ferienheim

 

Auf Anregung der österreichischen Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzlers Dollfuß wurden in den 1930er Jahren in ganz Österreich Ferienheime für Kinder geschaffen. Mit ein Grund dafür war die schlechte Versorgungslage vieler Kinder. Mit der landesweiten „Kinderferienaktion“ sollten Kinder zwischen 8 und 14 Jahren die Möglichkeit haben, sich in der Natur, unter ärztlicher Aufsicht und mit ausreichend Essen für mehrere Wochen zu erholen. Schon 1933 verbrachten mehr als 21.000 Kinder einige Wochen zur Erholung am Land in ganz Österreich. 1936 waren es bereits knapp 42.000 Kinder. Die Aktion richtete sich vor allem an gesundheitlich gefährdete und/oder sozial bedürftige Kinder, sowie Kinder aus Großstädten und Industriegebieten. Über die politischen Hintergründe der Ferienaktion ließe sich sicher mehr sagen. Man kann davon ausgehen, dass die austrofaschistische Regierung Anfang der 1930er Jahre die organisierte Ferienplanung nicht nur als uneigennützigen Dienst am Kinder- und Jugendwohl durchführte, sondern auch, um einen gewissen Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen auszuüben, ihre „Vaterlandsliebe“ zu wecken bzw. zu stärken. Nicht zuletzt standen hinter den groß angelegten Ferienaktionen von 1933 bis 1937 auch wirtschaftliche Interessen, wie z. B. die Stützung des von der 1000-Mark-Sperre schwer angeschlagenen Tourismus.

 

In jedem Fall legte die Ferienaktion einen Grundstein für eine Entwicklung in Haiming, die über viele Jahrzehnte, wenn auch in unterschiedlichen Varianten, Einfluss auf Haiming ausübte.

 

1930 hatte der Haiminger Bauer Karl Perwög (vulgo „Zickelers Karl“) im Haiminger Föhrenwald bei der „Unteren Gmua“ einen Holzbau sowie ein angeschlossenes Schwimmbad in der Größe von 10 x 22 m errichtet. Für die damalige Zeit geradezu eine Sensation. 1934 erwarb der Bund der Jungtiroler das gesamte Areal. Im Sommer dieses Jahres konnten bereits die ersten Kinder in Haiming begrüßt werden. Da am Ferienheim noch gebaut wurde, wurden die Kinder im ersten Jahr (1934) noch bei privaten Quartiergebern in Haiming untergebracht. Der Bau des Ferienheims war auch mit Arbeitsmöglichkeiten und Aufträgen für die heimischen Betriebe verbunden, auch die benötigten Lebensmittel wurden von den heimischen Bauern bezogen.

 

Am 12. Juli 1934 kamen rund 1.000 Kinder aus dem Osten Österreichs (u. a. Wien und Burgenland) mit einem Sonderzug in Innsbruck an. Sie wurden auf die verschiedenen Heime in ganz Tirol aufgeteilt, 70 von ihnen im Oberland – in den beiden Ferienheimen in Haiming und Wenns. Am 5. September (1. Turnus) bzw. am 11. September (2. Turnus) verabschiedeten sich die Kinder wieder von ihren Tiroler Gastgebern, um die Heimreise anzutreten. Es waren gesundheitlich besonders gefährdete Kinder, die in Haiming ihre Ferien verbringen konnte. Sie durften nicht nur die üblichen drei Wochen, sondern sechs Wochen im Ferienheim verbringen.

 

Im Juli 1935 wurde das Ferienheim feierlich eingeweiht und erhielt den Namen „Kanzler-Dr.-Engelbert-Dollfuß-Heim“. 1935 waren im Ferienheim bereits rund 200 junge Burschen untergebracht, 1936 übernahm der Lungenfacharzt Dr. Karl Waitz das Heim und gestaltete es zu einem Erholungsheim für Buben und Mädchen um. Unter seiner ärztlichen Aufsicht sollten sich die Kinder erholen können. Das Heim bot mitten im Wald viele Spielmöglichkeiten und hatte mit dem Schwimmbad einen zentralen Anziehungspunkt. Neben den Schlafsälen für Buben und Mädchen gab es auch einen großen Tagesraum, eine Krankenstation, eine Sanitätsstation, Duschräume und eine modern eingerichtete Küche. Tägliche Atemübungen, tägliches Schwimmen, möglichst viel Aufenthalt an der frischen Luft und in der Sonne sollte die Kinder stärken, Körperpflege und Hygienelehre standen ebenfalls auf dem Programm. Die meiste Zeit konnten die Kinder jedoch mit Spielen verbringen. Wöchentlich wurde das Gewicht der Kinder kontrolliert, schließlich wurde der Erfolg der Ferienaktion in erster Linie an einer Gewichtszunahme der Kinder gemessen!

 

Die Berührungspunkte mit der Haiminger Bevölkerung in jenen ersten Jahren des Ferienheims waren scheinbar nur marginal, da die Kinder im eher abgelegenen Heim unter sich blieben und auch am Sonntag einen eigenen Gottesdienst besuchten.

1938 wurde das Ferienheim in Haiming von den Nazis enteignet, geplündert und es verwahrloste. Während des 2. Weltkrieges diente es unter anderem als Lager für die nationalsozialistische Organisation „Bund Deutscher Mädchen“. Mehrere Sommer verbrachten hier rund 100 bis 120 Mädchen 14 Tage zur Erholung und wohl auch zur „Erziehung“ im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda.

 

Kurz nach Kriegsende pachtete Dr. Karl Waitz das Ferienheim und setzte es wieder in Stand. Schon 1946 konnten wieder 60 Kinder im Ferienheim untergebracht werden. 1948 ging das Gebäude zurück in den Besitz des Bundes der Jungtiroler. Mit dem Tod von Dr. Karl Waitz im Jahr 1963 schien das Ende des Ferienheimes gekommen zu sein.

 

Doch 1966 übernahm die Katholische Jungschar Tirol das Objekt, bis Hans Smejkal 1972 das Heim pachtete, zwei Jahre Instandsetzungsarbeiten durchführte, um es für seine im Jahr 1949 gegründete Aktion „Ferienaktion Marie Treu“ nützen zu können. Vorher dienten verschiedene Gebäude als Ferienlager, unter anderem auch die seit Ende des 2. Weltkriegs leerstehenden Barackenlager vom Kraftwerksbau in Schlatt bei Ötzerau. 27 Jahre lang war Smejkal selbst als Heimleiter in Haiming tätig. Im Schnitt konnten 100 Kinder und Jugendliche in den Sommermonaten einige Wochen im Ferienheim verbringen.

 

Im Laufe der Jahre waren es mehr als 3.500 Kinder und Jugendliche. Unvergessen bleibt für die heimische Bevölkerung auch der regelmäßige Kirchgang der Kinder mit ihren Betreuern, der immer von Gesang begleitet wurde. 2009 konnte in Haiming noch das 60-Jahr-Jubiläum der Ferienaktion Maria Treu (zuletzt unter dem Namen F.M.T. Feriencamp) gefeiert werden, bei der auch Hans Smejkal persönlich anwesend war. Mit seinem Tod im Jahr 2011 musste die Aktion jedoch endgültig zu Grabe getragen werden, da der Bund der Jungtiroler sich die hohen Sanierungskosten nicht mehr leisten konnte.