Die Geschichte einer besonderen Freundschaft

Die Musikkapelle Haiming und der Sängerbund 1865 Mannheim-Seckenheim

An der Hausfront des Eigenheimes von Agnes und Sepp Wieser an der Siedlungsstraße 34 prangte jahrzehntlang ein metallenes Schild mit dem Schriftzug „Haus Seckenheim“1 – heute noch ein Symbol für eine Freundschaft, deren Entstehungsgeschichte Herr Heinrich Kraus aus Edingen-Neckarhausen dem Ortschronisten geschildert hat.

Heinrich Kraus berichtet:

Die Freundschaft zwischen der Musikkapelle Haiming und dem Sängerbund 1865 Mannheim-Seckenheim begann um 1960. Der Seckenheimer Martin Blümmel (Jahrgang 1925) hatte im 2. Weltkrieg ein Bein verloren und konnte nicht mehr auf seine geliebten Berge. Als Alternative wählte er Urlaub in Ötztal-Bahnhof, wo er ohne große Anstrengungen Spaziergänge im nahen Föhrenwald machen und dabei die Berge in unmittelbarer Nähe bewundern konnte. Mit dem Busunternehmen „Oberfeld“ erfolgte die Anreise, sein Fremdenzimmer bezog er in der Pension von Maria Egger.

Damals, Anfang der 60-iger Jahre, war Ötztal-Bahnhof noch ein überschaubarer, kleiner Ortsteil von Haiming. Die Bäckerei Egger, die Lebensmittelgeschäfte der Geschwister Wegleiter-Winkler, der Rosa Stigger und Anna Knoflach, das Hotel Ötztalerhof, die Gasthäuser mit der Bahnhofsrestauration und der Trafik, die Raiffeisenkassa, das Frisörgeschäft von Hans Schwarz, der Winkler und der Neururer, den Werner Kuhnert die Bauunternehmen Auer und Pohl, die Genossenschaft für den Bezirk Imst, die ADEG-Handelsagentur und natürlich die Lignospan, die für wirtschaftlichen Aufschwung sorgte.2

Foto: Heinrich Kraus, großer Förderer der Freundschaft zu Haiming und Ehrenpräsident von "Die Zabbe".

1 Das Schild wurde auf Wunsch von Maria Peroutka geb. Larcher im Jahre 2017 abmontiert und einem Sänger vom Sängerbund 1865 Mannheim-Seckenheim überreicht (mit Einverständnis des neuen Hauseigentümers).

2 Die Aufzählung der Unternehmen wurde vom Chronisten ergänzt, stellt nur eine Auswahl dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Ötztal-Bahnhof hatte damals noch keine Musikkapelle, so spielte die Musikkapelle Haiming in den Sommerwochen bei den Gästekonzerten im Garten des Ötztalerhofes auf. Dabei kam es zum ersten Zusammentreffen von Martin Blümmel und Kapellmeister Stefan Baur, zwei Persönlichkeiten, die sich auf Anhieb bestens verstanden. Obmann der Musikkapelle war damals Leo Konrad, Hans-Peter Stigger war ein Jungmusiker und spielte Posaune.

Martin Blümmel und Stefan Baur fassten einen Besuch der Musikkapelle in Seckenheim ins Auge. Obwohl Herr Blümmel nicht im Vorstand des Sängerbundes vertreten war, genügte sein Auftreten und seine starke Persönlichkeit, um die Idee in die Realität umzusetzen. Ich war damals ein junger Mann, der 1961 zum Sängerbund kam.

Der Besuch der Haiminger im Jahre 1965 in Seckenheim war ein großer Erfolg. Martin Blümmel war in den folgenden Jahren mehrmals in Ötztal-Bahnhof und freundete sich mit der Familie Egger an. Nachdem Manfred und Helmut Egger das Hotel Ötztalerhof erworben hatten, verbrachte er dort seine Urlaubstage. Für seine Treue zum Ort erhielt er das Jungbürgerbuch des Landes Tirol. Auch mit der Familie Stefan Baur verband ihm eine echte Freundschaft.

Im Sommer 1966 besuchten wir Haiming mit allen Sängern. Untergebracht waren wir im Stern, die älteren Sänger im Ötztalerhof. Es war die erste Reise unseres Vereins ins Ausland. Mit Gesang in der Kirche am Sonntag stellten wir uns dort musikalisch vor. Eine Busfahrt ins schöne Ötztal bis zum Timmelsjoch war einmalig. Als Reiseleiter fungierte Johann Nagele, der uns viele Erklärungen lieferte.

Bei diesem Besuch habe ich auch mein Herz an diesen Ort und seine Menschen verloren. Noch im gleichen Jahr bin ich das erste Mal mit meiner Frau zum Urlaub nach Haiming gefahren, unsere Tochter, Jahrgang 1965, war damals noch nicht dabei. Wir hatten unsere Unterkunft bei Antonia und Rudolf Kapeller, die Übernachtung hat damals zwanzig Schilling gekostet. Gegessen haben wir im Stern (Zickeler), in der Traube (Sterzinger) – hier gab es den besten Schmarrn – oder auch im Gasthof Inntal bei der Familie Kössler. Ab und zu fuhren wir aber auch nach Silz oder Ötztal-Bahnhof. Wenn wir ganz groß ausgehen wollten, gönnten wir uns in Oetz das Posthotel Kassl – im Garten zu sitzen war sehr schön und das Essen einmalig.

Foto: Kapellmeister Stefan Baur überreicht an die Ehrendame von 1965, Ursula Blümmel Blumen. Rechts im Bild ihr Vater Martin Blümmel, der sich mit Stefan Baur blendend verstand.

In Haiming kauften wir unser Abendbrot bei Hella und Dagmar Raffl in der Spar. Freundschaft schlossen wir mit Toni und Hella Raffl, sowie Peter und Dora Stigger von der Tischlerei. Ab 1967 war dann auch unsere Tochter Simone dabei und wir hatten die schönsten und sorglosesten Urlaubstage unseres Lebens. Mit den drei Buben der Tischlerei oder auch den Kindern von Hella und Anton Raffl, aber auch mit den Kindern von Sepp und Rosmarie Köll hatte unsere Tochter viele Spielgefährten.

Im Jahre 1971 zum 150-jährigen Jubiläum der Musikkapelle Haiming machte der Sängerbund einen Besuch in Haiming. Wir wirkten bei der Feldmesse vor dem Feuerwehrgerätehaus und am bunten Abend mit der Stadtmusikkapelle Wilten mit.

Im Jahre 1975 feierte der Sängerbund 110 Jahre und da war wieder die Musikkapelle in Mannheim. Zu diesem Zeitpunkt war aber auch die Bundesgartenschau in Mannheim, ein Mitglied unseres Vereines war Hanns Maier, Direktor des Mannheimer Nationaltheaters, der auch für das Programm der Gartenschau verantwortlich war. Am Sonntag spielte dann im Gartenschaugelände auf der Seebühne vor 2500 Zuhörern die Musikkapelle Haiming. Ich war inzwischen in Mannheim ziemlich bekannt, so dass ich durch das Programm führen und dabei auch die Gemeinde Haiming und die herrliche Umgebung im Ötztal vorstellen konnte. Da ich in der Zwischenzeit auch der Präsident der Karnevalsabteilung „Die Zabbe“ im Sängerbund wurde, habe ich über meinen Freund Toni Raffl auch zu Bürgermeister Wilfried Stigger Kontakt aufgenommen und wir waren dann drei Mal mit 70 bis 80 Personen auf Winterurlaub in Haiming. Es war eine Meisterleistung von mir, all diese Personen unterzubringen. Einige von ihnen reisten mit dem Auto an, andere mit dem Nachtzug ab Mannheim. Ein Teil der Leute wohnten im Ötztalerhof, die restlichen habe ich mit Hilfe von Theo Kapeller, der uns einen Bus kostenlos zur Verfügung stellte, bei Privatzimmervermietern in der Haiminger Siedlung verteilt. Die Fasnachtssitzung im Sterzingersaal war ein voller Erfolg.

Mitte der achtziger Jahre hatte dann Martin Blümmel erneut mit der Planung für das große Jubiläumsfest im Jahre 1990 (125 Jahre Sängerbund 1865 e. V. Mannheim-Seckenheim) begonnen. In Haiming war inzwischen Hans-Peter Stigger Musikobmann und Josef Köll Kapellmeister. Ich selbst wurde 1987 zweiter Vorsitzender und Jürgen Zink Vorstand im Sängerbund. Meine Verantwortlichkeit lag in der Werbung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Erstellung der Festschrift, der Programm- und der Bühnengestaltung. Die Verhandlungen mit der Musik führte Martin Blümmel. Und dann kam der große Schlag für uns – eines Tages im Herbst 1988 lag Martin morgens tot im Bett. Nicht nur beim Sängerbund, sondern auch bei seinen vielen Freunden in Haiming herrschte Trauer. Neben der Familie Egger kamen auch Freunde zur Beisetzung von Martin. Obmann Hans-Peter Stigger kam mit einer fünfköpfigen Abordnung der Musikkapelle zur Trauerfeier, die um 11 Uhr angesetzt war.

Der Sängerbund erschien vollzählig in Sängerkleidung mit Fahnen und Ehrenzeichen. Nach dem Festakt in der Leichenhalle mussten wir einen langen Weg zum Grab gehen. Als wir die Leichenhalle verlassen hatten, begann die kleine Besetzung der Musikkapelle Haiming mit ihrer Musik bis wir mit dem Trauerzug vor dem Grab standen. Die Sänger und viele der Trauergäste konnten die Tränen nicht zurückhalten, dies war die größte Ehre, die Martin erfahren konnte.

Nach der Beerdigung habe ich Hans-Peter Stigger meinen Dank ausgesprochen und ihn gefragt, ob all die Vereinbarungen gehalten werden. Er versprach noch am offenen Grab von Martin, dass Alles so bleibt wie besprochen. So war es dann auch und ich habe die Sache in die Hand genommen und zum erfolgreichen Jubiläumsfest 1990 geführt.

Heinrich Kraus, März 2022

Diese Schilderung von Heinrich Kraus (Träger des Alfred Blümmel-Ehrenordens, Ehrenpräsident  der Karnevalsabteilung „Die Zabbe“) beleuchtet in geeigneter Weise einen Zeitabschnitt der Haiminger Geschichte, in dem Bevölkerung, Vereinswesen und Tourismus in gemeinsamen Aktivitäten eng verknüpft waren. Vor allem die Musikkapelle Haiming, die Privatzimmervermieter und die Dorfgasthäuser spielten damals eine bedeutende Rolle in ihrer Funktion als Gestalter und Verwalter von langwährenden Freundschaften. I

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Herrn Heinrich Kraus für seine großzügigen, schriftlichen und digitalen Hinterlassenschaften für die Haiminger Chronik.

Manfred Wegleiter, Ortschronist

Foto: Gebührend empfangen wurde das Prinzenpaar und die Karnevalsabteilung „Die Zabbe“ 1984 von Bürgermeister Wilfried Stigger, der Musikkapelle, Gemeinderäten und Fasnachtsobmann Gerhard Valte.